Iran: Wir sind Gottes Schlägertruppe

Eine Skizze vom Gesicht von Gouhar Eshqi – von Homa Skandari

Gouhar Eshqi war am 18. Adhar 1400 (9. Dezember 2021) zu Fuß unterwegs, als sie von zwei Motorradfahrern eingeholt wurde. Einer von ihnen stieg ab und stieß sie gegen die metallenen Gitterstäbe eines Zauns. Er fügte ihr schwere Gesichtsverletzungen zu. Vor etwa einem Monat war Gouhar Eshqi zusammen mit Familienangehörigen festgenommen worden. Dabei sagte einer der Beamten zu ihnen: „Es werden nicht immer alle im Gefängnis und unter Folter getötet. Manche werden auch durch einen Unfall oder einen Streit oder einen anderen Vorfall ums Leben kommen.“

Gouhar Eshqi setzt sich aufgrund der Verhaftung und Ermordung ihres Sohns Sattar Beheshti seit 9 Jahren für die Menschenrechte der Gefangenen ein. Sie und ihre Tochter wurden wiederholt bedroht und schikaniert. Ihr Sohn war wegen seiner politischen Blogs verhaftet und umgebracht worden.

Ali Afshari, der Verfasser des Artikels, der bei Radio Farda veröffentlicht wurde, ist sich sicher, dass die Motorradfahrer von den iranischen Sicherheitsorganen organisiert wurden. Er schreibt, dass die Hinzuziehung Dritter zur Ausübung staatlicher Gewalt außerhalb des Rahmens staatlicher Organe ein Wesensmerkmal der Islamischen Republik seit ihrer Gründung ist. Ali Afshari weist darauf hin, dass die Geistlichkeit schon früh eine Bündnis mit sozialen Randgruppen eingegangen ist, mit ungebildeten Gewalttätern (er verwendet die Ausdrücke: jâhel – unwissend, ignorant, und lât – so etwas wie Lumpenproletariat), um ihre Ziele voranzutreiben. Dieser gewaltbereite Personenkreis wird amtlich dann als „Ommate Hezbollah“ (Die Gemeinschaft der Gottespartei) oder als „Niruhaye mardomiye xodjush“ (Spontane Volkskräfte) tituliert, was suggeriert, sie handelten aus Gründen der (richtigen) religiösen Überzeugung bzw. „aus dem Volk heraus“. Diese Kräfte werden von den Revolutionswächtern (Pasdaran) organisiert und ausgebildet. Zu Beginn der Revolution wurden solche Personen auch in den Komitees eingesetzt, das waren während der Revolution 1979 gebildete „Sicherheitsorgane“, die rasch die Funktion von Polizei und Haftzentren übernahmen. Damals wurden sie auch als „Schamschire Eslam“ (Schwert des Islams) bezeichnet.

Heute sind solche schlagkräftigen Gruppen auch über den Iran hinaus im Libanon und Irak aktiv, wohin die Pasdaran ihre Tätigkeit ausgeweitet haben.

Die ideologische Grundlage für diese gewaltsamen Aktivitäten im rechtsfreien Raum hat Ajatollah Chomeini geschaffen, und zwar mit dem Ausdruck: „Hefze nezâm oujabe wâjebât ast.“ Die Bewahrung des Systems (der Islamischen Republik) ist die höchste aller (religiösen) Pflichten. Damit wird eine rechtfreier Raum jenseits von staatlicher Gesetzgebung, von moralischen Regeln und auch jenseits des islamischen Rechts, der Scharia, geschaffen. Der Satz heißt übersetzt: Der Zweck heiligt die Mittel. Und der Zweck ist der Erhalt des Systems. Dies ist die Norm, die der Begründer der Islamischen Republik und damalige Religiöse Führer geschaffen hat.

Hier hat die absolute Rechtlosigkeit ihre absolute religiöse Verankerung erhalten. Die Angreifer und Schläger handeln in höherem Auftrag zur Wahrung der Herrschaft Gottes auf Erden.

So lässt sich erklären, wieso diese Männer eine alte Frau angreifen, die ihre Großmutter sein könnte. Ali Afshari betont, dass der Respekt vor älteren Menschen ein wesentlicher Bestandteil der iranischen Kultur sei und dieses Vorgehen gegen Gouhar Eshqi daher völlig aus dem Rahmen falle.

Afshari bezeichnet diese Leute als mafiös, kriminelle Gruppen, Verbrecher, Lumpen. Und weiter: „Die schändliche Art des Umgangs mit Gouhar Eshqi, dieser mutigen und leidgeprüften Frau, spiegelt sehr gut den gefährlichen Charakter dieser ahrimanischen Vereinigung wieder.“ Ahriman ist laut dem persischen Wörterbuch von Junker/Alavi das Oberhaupt der Dämonen, das Zentrum des Bösen. Und genau da stehen wir (nicht nur in der iranischen Gesellschaft). Wir haben im Laufe des Lebens oft religiös geprägte, später evtl. vom Kommunismus etc. überarbeitete Vorstellungen von Gut und Böse übernommen, nach denen wir die anderen und uns selbst einstufen. Die Neigung ist groß, uns auf die Seite „des Guten“ und die Gegner auf der Seite „des Bösen“ zu finden. Das gilt für das Lager von Ali Afshari genauso wie für das Lager dieser „ahrimanischen Kräfte“. Solange wir für uns selbst und die Gegenseite nicht alle Wertungen zulassen, schaffen wir mit solchen Einstufungen die Grundlage für den nächsten Ajatollah, den nächsten Führer, den nächsten Präsidenten oder Erleuchteten, der für seine Seite die berechtigten Ausnahmen von den eigenen Normen zulässt, wenn es darum geht, die Gegenseite zu bekämpfen.

Quellen:

https://www.radiofarda.com/a/31608415.html

vom Di 23. Adhar 1400 (14. Dezember 2021)

حمله به گوهر عشقی، بازنمایی ماهیت گانگستری

جمهوری اسلامی

https://middleeast.in-24.com/world/381813.html

https://fa.wikipedia.org/wiki/اهریمن

https://de.wikipedia.org/wiki/Ahriman