In den Jahren 1977-1978 gelangten die entscheidenden Politiker in Westeuropa und den USA allmählich zur Auffassung, dass der Schah von Persien nicht mehr in der Lage ist, die politische Entwicklung im Iran unter Kontrolle zu halten. In jener Zeit des Kalten Krieges war die erste Befürchtung, dass sich der Iran infolge eines Umsturzes in einen Satelliten der Sowjetunion verwandeln könnte. Denn die iranische Linke wie auch die Volksmudschahedin schienen in ihrer Ideologie der Sowjetunion näher zu stehen als dem Westen. Also suchte man nach Alternativen, die den westlichen Machthabern die vermeintliche Gewissheit gaben, nicht ins sowjetische Lager abzudriften. Ajatollah Chomeini mit seiner anti-kommunistischen Rhetorik schien diese Gewähr zu geben. So durfte er in der Zeit vor der Revolution sein Exillager in Paris aufschlagen und bekam die Möglichkeit, sich über verschiedene Radiosender direkt auf Persisch an das iranische Volk zu wenden und für seine Sache (und somit auch für seine Person) Werbung zu machen. Die Moscheen im ganzen Iran waren ein wirkungsvoller Verteiler für Chomeinis Reden, die in Form von Kassetten vertrieben wurden.

Im Januar 1979 flog der Schah in die USA, einen Monat später fegte ihn die Revolution im Iran von seinem Thron. Chomeini, der im Februar 1979 aus Paris zurück kam, nutzte den propagandistischen Vorsprung, den er sich in der Zeit davor aufbauen konnte, und erreichte so bei der ersten Volksabstimmung über die künftige Staatsform, dass 99% der Abstimmenden (amtliche Zahl) für die Schaffung einer „Islamischen Republik Iran“ stimmten.

Mit dieser Abstimmung erreichte Chomeini eine erste Spaltung unter den Kräften, die die Revolution herbeigeführt hatten. Denn die Mudschahedin wollten eine Demokratische Islamische Republik, die Nationalen eine Demokratische Republik, die Linken eine Demokratische Volksrepublik, und so waren mit dem Ergebnis der Abstimmung alle diese Kräfte aus dem Rennen. Chomeinis erster Sieg. Mit dem Propagandasieg waren freilich die Andersdenkenden nicht für den Kurs Chomeinis gewonnen. Sie diskutierten auf den Straßen, an den Universitäten und Schulen, in den Fabriken und in den Behörden mit den Anhängern Chomeinis. Aber diesen war Toleranz ein Fremdwort: Hezb faqat Hezbollah, Rahbar faqat Ruhollah! Eine Partei, die Gottespartei, ein Führer, der Ruhollah (=Chomeini)! war ihre Parole, mit denen sie Gruppen diskutierender Menschen überfielen. Das war der Beginn der zweiten Phase, die mit Prügeln und Festnahmen endete. Aber Chomeinis Macht reichte noch nicht, seine Gegner zu beseitigen.

Dann kam das Gottesgeschenk, der vom Westen unterstützte Angriff des irakischen Diktators Saddam Hussein auf den Iran. Nun konnte Chomeini unter dem Vorwand der drohenden Gefahr alle politischen Gegner verhaften und ins Gefängnis sperren. In den ersten Kriegsjahren gelang es Chomeini, sämtliche Organisationen der Mudschahedin, der Nationalen und der Linken zu zerschlagen, ihre Führer ins Exil zu vertreiben oder hinzurichten. Die organisierte Opposition war ausgelöscht. Chomeinis Sieg Nummer drei.

Aber nach acht Jahren Krieg, in dem Chomeini stets verkündete, der Weg nach Jerusalem führe über Kerbela, sprich die Vertreibung der Juden aus Israel erfordere die Besetzung des Iraks, musste er erkennen, dass er nicht weiter kam. Er trank den „Schierlingsbecher“, wie er sich ausdrückte, und stimmte dem Waffenstillstand mit dem Irak zu. Er war freilich unehrlich genug, nicht selbst das Abkommen zu unterschreiben, sondern schob die damalige Regierung vor. Nicht ganz ein Jahr später war er tot.

Als Nachfolger von Chomeini wurde Chamene’i gewählt, nicht vom Volk, sondern von ausgewählten Geistlichen. Aber Chomeini hatte ihm ein unerfreuliches Erbe hinterlassen: den Spaltpilz. Die eine Gruppe von Geistlichen, die sich Chatte Imam nannten – die Linie des Imam, wollten weiter machen wie Chomeini, die anderen waren zwar ebenfalls Chomeinis Anhänger und hatten auch das Land im Krieg verteidigt, aber abweichende Ansichten zur Wirschaftspolitik und anderen Themen. Zur Gruppe der „Linie des Imam“ gehörten die Ajatollahs Rafsandschani, Chamene’i und Kani, zu den anderen gehörten unter anderem Mirhossein Mussawi. Die „Linie des Imam“ schloss alle von der Macht aus, die ihre Meinung nicht akzeptierten. Diejenigen, die das militärische Gewicht des Kriegs getragen hatten, die Revolutionswächter – also die Pasdaran, erwarteten nun ihre Belohnung. Aber die „Linie des Imam“ dachte nicht daran, ihre Macht mit solchen Emporkömmlingen zu teilen, sondern fanden sie mit wirtschaftlich lukrativen Positionen ab.

Das war die Zeit, in der Rafsandschani als Präsident der Republik amtierte. Rafsandschani taufte diese Periode als „Zeit des Wiederaufbaus“, der auf der Basis der Erdöleinnahmen erfolgen sollte. Aber seine Politik war nicht geeignet, die Landwirtschaft und die industrielle Produktion wieder in Gang zu bringen, so dass die Arbeitslosigkeit und andere Wirtschaftsprobleme zum Ende seiner Amtszeit ungelöst blieben. Die Erdöldollars waren ausgegeben, aber das Land war nicht vorangekommen. In dieser Situation konnten sich die „Reformer“ mit Chatami an der Spitze als Alternative präsentieren und die Regierungsgewalt sowie das Parlament übernehmen. Die meisten anderen Institutionen – die Justiz, das Militär, der Geheimdienst, die Bassidschi-Milizen, der Wächterrat, der Rat zur Wahrung der Interessen des Systems – blieben aber in der Hand der Fundamentalisten. Wenn es um die Unterdrückung von Protesten der Kurden, Belutschen oder anderen Volksgruppen, von Protesten der Linken oder von Berufsgruppen ging, unterschieden sich „Reformer“ nicht von den „Fundamentalisten“. Was die Reformer allerdings einforderten, war ein Freiraum unter sich. Die Anhänger des Systems sollten die Möglichkeit haben, frei zu diskutieren, und so entstanden zahlreiche Reformzeitungen. Den „Fundamentalisten“ war schon dies zu viel: „Harf harfe rahbariye – Das Wort ist das Wort des Führers“ war ihre Parole. Und sie fanden Unterstützung im Apparat der Pasdaran, die die Jahre unter Chatami nutzten, sich zu organisieren und als nächsten Schritt die Ergreifung der politischen Macht vorzubereiten. Mit Ahmadineschad, einem Mann aus ihrer Mitte, gelang es den Pasdaran schließlich, den Staatsapparat unter ihre Kontrolle zu bekommen, die Regierung wie das Parlament. Sein erstes Ministerkabinett wurde mehrheitlich von Angehörigen der Pasdaran gebildet. Ahmadineschad nutzte seine erste Amtszeit als Präsident, im ganzen Land, auf allen Ebenen, an den staatlichen Universitäten ebenso wie auf der lokalen Verwaltungsebene, Leute in die Ämter zu hieven, die die Interessen der Pasdaran vertraten oder sogar selbst Pasdaran waren. Ideologische Rückendeckung bekam er von Ajatollahs wie Mesbahe Jasdi, Dschannati und Chamene’i. Ahmadineschad versuchte dies für seine Zwecke zu nutzen, indem er vorgab, Stellvertreter des „Imame-Zaman“, des entschwundenen 12. Imams der Schiiten zu sein, der bei seiner Wiederkehr die Welt wieder ins Lot bringen würde. In den ersten vier Jahren seiner Amtszeit betrieb Ahmadineschad unter der Parole der „Privatisierung“ der iranischen Wirtschaft eine Übertragung wichtiger Wirtschafszweige an die Institution der Pasdaran, die somit zu Spottpreisen einträgliche Unternehmen erwarben. Um diese Politik der Plünderung zugunsten der eigenen Taschen zu vernebeln, attackierten Ahmadineschad und seine Medien vor allem die Geistlichen, die über religiöse Stiftungen über eine eigene Wirtschaftsbasis verfügten, so etwa die Ajatollahs Rafsandschani, Taheri und Dastgheib. Das verschärfte die Gegensätze zwischen den Geistlichen.

Um die Regierungsgewalt nicht bei den nächsten Wahlen im Juni 2009 zu verlieren, begann Ahmadineschad schon Mitte 2008, sich auf die Wahlen vorzubereiten. So gab der Pasdaran-General Sardar Moschfeq unlängst im Detail bekannt, wie minutiös sich Ahmadineschad darauf vorbereitete, die Wahlen mit allen Mitteln zu „gewinnen“. Das war keine leichte Aufgabe, weil die Wirtschaftspolitik der ersten drei Jahre das Land in den Keller geführt hatte und mit der einsetzenden Krise in den USA auch der Erdölpreis drastisch fiel. General Moschfeq erklärte öffentlich in einem Interview: „Wir wussten, dass wir die Wahlen nicht gewinnen würden. Deshalb haben wir beschlossen, einen Freiraum zu schaffen und Karubi und Mussawi auf Anweisung des Führers Chamene’i doch noch als Kandidaten zu den Wahlen zuzulassen…“ Zur Kontrolle der Bevölkerung hielten die Pasdaran ab November 2008 landesweite Manöver ab. Dies war auch nötig, denn nach der Wahlfälschung im Juni 2009 ging die Bevölkerung zum Protest auf die Straße. Womit die Pasdaran allerdings nicht gerechnet hatten, war das Ausmaß der Proteste. Statt der erwarteten Zehntausend gingen Millionen auf die Straße.

Die Regierung antwortete darauf mit Morden auf der Straße, mit Verhaftungen und Folterungen. Auch die Reformisten, die bislang die Volksmehrheit nur als Mittel betrachtet hatten, ihre Konkurrenten von der Macht zu verdrängen, waren von dieser gewaltsamen Unterdrückung betroffen. Dies hatte zur Folge, dass nicht nur 90% der iranischen Bevölkerung keinerlei Illusionen über den Charakter der Herrschenden mehr haben und sie schlichtweg als Feinde betrachten, die Methoden der Machterhaltung spalteten auch das Lager der Systemanhänger und trieben die Reformisten auf die Seite der Bevölkerungsmehrheit.

Die Mittel, mit denen die Pasdaran-Regierung ihre Macht verteidigte, namentlich die Tatsache, dass sie auch nicht davor zurückschreckte, männliche und weibliche Gefangene in Haft zu vergewaltigen, führte dazu, dass viele tiefgläubige Muslime Zuflucht bei den Geistlichen suchten, die diese Missstände offen kritisierten. Da die Machthaber darauf auch diese Geistlichen und ihre Familien unter Hausarrest stellten, Angehörige verhafteten und Anhänger verprügelten, machte sie sich auch angesehene, hochrangige Geistliche zu ihren Gegnern. Anders gesagt: Der Putsch vom Juni 2009 führte zu einer Entzweiung der Geistlichkeit, die bislang die ideologische Stütze des Regimes darstellten.

Die gemeinsame Erfahrung der Rechtlosigkeit, der staatlichen Gewalt, des Unrechtsstaats, hat die Bevölkerung in einem Maß geeint, wie es seit der Revolution 1979 nicht mehr zu spüren war. Heute hat keiner mehr Angst, an der Öffentlichkeit über die Regierung zu schimpfen und zu fluchen, denn die anderen sind Leidensgenossen und werden ihn nicht verpfeifen. Diese Gewissheit, die Mehrheit zu sein, hat dazu geführt, dass die meisten politischen Gruppen und Bewegungen ihr Heil nicht in einem gewaltsamen Umsturz des Regimes suchen, sondern der Meinung sind, dass sie die Verhältnisse mit zivilen Methoden ändern können. Die Forderung nach mehr Freiheit, die wirtschaftlichen Forderungen werden nicht mehr bloß von Studenten oder Gewerkschaftern vertreten, sondern finden heute in der ganzen Bevölkerung ein zustimmendes Echo.

Die Regierung hat zwar erreicht, dass die Menschen sich nicht mehr in Massen versammeln und sogar auf die Abhaltung traditioneller Trauerfeiern zum Todestag der Verstorbenen verzichten. Aber sie bezahlt einen hohen Preis dafür. Denn jetzt befassen sich auch die normalen Bürger, die einfachen Menschen mit der Frage, was sie tun müssen, um das System zu ändern und ihre Lage zu verbessern. Die Suche nach einer neuen Zukunft in einer anderen Verfassung, der Bruch sämtlicher Denk- und Redetabus ist heute nicht mehr auf Intellektuelle beschränkt, sondern heute Teil des Denkens der großen Mehrheit.

Angesichts dieser beeindruckenden Einheit ist die Zerstrittenheit unter den bisherigen Machthabern umso auffälliger. Da kritisieren die Parlamentarier die Regierung, der Oberste geistliche Führer Ajatollah Chamene’i ermahnt die Regierung, nicht so provozierend zu reden, der Wächterrat und der Expertenrat kritisieren die Regierung, die Regierung äußert sich abfällig über das Parlament, und selbst innerhalb der Pasdaran kommt es zu Meinungsverschiedenheiten, weshalb einige Pasdarangeneräle in jüngster Zeit in den Ruhestand versetzt wurden, um die Kritiker auf diesem Weg los zu werden. Der ehemalige Geheimdienstminister und heutige Generalstaatsanwalt Gholamresa Mohseni Esche’i, ein enger Mitstreiter von Ahmadineschad, erklärt öffentlich, dass gegen Sakine Mohammadi Ashtiyan das Todesurteil verhängt wurde, das durch Steinigung zu vollstrecken ist, während Präsident Ahmadineschad gegenüber Journalisten verkündet, es gebe noch gar kein Urteil, alles sei noch offen, wer etwas anderes behaupte, lüge.

Schon während seiner ersten Amtszeit wollte Ahmadineschad die staatlichen Subventionen für verschiedene Konsumgüter (Benzin, Zucker, Mehl, Speiseöl, …) abschaffen, stieß aber schon bei der „Liberalisierung“ des Benzinpreises auf wütende Proteste aus der Bevölkerung. Darauf gab er zum Ende der ersten Amtsperiode bekannt, die Subventionen, die vor allem den wohlhabenderen Bürgern zugute kämen, zu streichen, und dafür jeder bedürftigen Familie pro Kopf eine monatliche Hilfszahlung, die Yarane, zu gewähren. Aber je näher der Termin rückte, je mehr der Ölpreis fiel, desto stärker wurde der Kreis derer eingeengt, die in den Genuss der Hilfsleistung kommen sollten, und auch der zur Debatte stehende Betrag sank immer mehr. Zuletzt hieß es, dass im September 2010 die Subventionen gestrichen werden sollten. Es ist noch immer nicht geschehen. Stattdessen hat die Regierung landesweite Manöver abgehalten, wohl in der Hoffnung, am Tag X, wenn die Streichung der Subventionen bekannt gegeben wird, mit harter Faust zuschlagen und alle Proteste unterdrücken zu können. Aber die Streichung der Subventionen ist die Sache eines Tages, der Hunger wird bleiben…

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