Die Frage, ob der Entwicklungsstand des Irans so niedrig ist, weil er so viel Erdöl besitzt, möchte ich kurz aufgrund meiner Kenntnisse und Erfahrungen beantworten.

Zuerst einmal: Noch bevor das Erdöl überhaupt industriell ausgebeutet wurde, war der Iran in einer Position, die durch seine geographische Lage bedingt ist und dazu führte, dass das Land immer wieder in Kriege verwickelt wurde. Im Süden Indien (Pakistan war früher ja noch nicht von Indien getrennt), im Osten Afghanistan und noch weiter China, im Norden das Kaspische Meer und Russland, im Westen Irak, Syrien und Türkei, Griechenland, als Brücken zum Mittelmeer und nach Europa. Im Iran kreuzten sich viele Wege, und Alexander der Große war genauso durchmarschiert wie es später Kriege mit dem Byzantinischen Reich gab und später mit dem Osmanischen Reich, vom Norden und Osten kamen Mongolen und verschiedene Turkvölker, die zum Teil über Generationen hinweg den Iran beherrschten, von der Arabischen Halbinsel kamen die Araber, die den Islam kriegerisch im Iran verbreiteten usw. Und Krieg bedeutet in aller Regel eine Heimsuchung für die Landbevölkerung, deren Felder von den Armeen geplündert werden, und eine Zerstörung der Städte. Aus diesem Grund wäre es verfehlt, die Entwicklung im Iran einzig dem Erdöl zuzuschreiben.

Was man zudem nicht vergessen darf, ist die Tatsache, dass das Erdöl auf der einen Seite zwar westliche Begehrlichkeiten weckte, andererseits aber auch zu intensiven Kontakten mit der westlichen Kultur führte. Als die Engländer kamen, um das Erdöl auszubeuten, brachten sie auch ihre Bau- und Lebensweisen mit, so dass die Iraner damit vertraut wurden. Die Erdölgelder wurden unter der Schahzeit zwar keineswegs überall sinnvoll angelegt, führten insgesamt aber zu einer Industrialisierung des Landes, mit der Folge, dass viele Iraner die neuen Berufe lernten und nicht nur im Iran, sondern auch im Ausland studierten. Ohne das Erdöl hätten viel weniger Iraner das Ausland kennengelernt und wären somit intellektuell nicht so gefordert worden. Durch die Industrialisierung bildeten sich im Iran neue Schichten heraus, die das Feudalsystem durchbrachen und damit neue politische Entwicklungen einleiteten.

Dass nach der Revolution von 1979 Ajatollah Chomeini an die Macht kam, war nicht eine Folge des Erdöls, sondern eine Folge der damaligen weltpolitischen Lage. Es gab im Iran auch linke und demokratische Gruppen, aber die wurden vom Westen nicht unterstützt, weil er einen Vormarsch der Sowjetunion befürchtete, wie es dann ja auch im Dezember 1979 in Afghanistan geschah. Der Iran war mit der Türkei zusammen einer der wichtigsten Verbündeten des Westens im Nahen Osten, da interessierten den Westen keine Menschenrechte, sondern nur, dass dieses Land nicht eine sowjetische Marionette wurde.

Und auch nach der Machtergreifung der Islamisten ist es nicht so, dass im Iran die Leute nun zurückgeblieben sind und im Mittelalter leben. Die Demonstrationen nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen von 2009 haben gezeigt, dass die junge Generation mit Handy und Computer umgehen kann wie anderswo in der Welt, die einzigen, die im Iran zurückgeblieben sind, ist die Regierung mit ihren Anhängern. Mehr als 5 Prozent der Bevölkerung dürften das kaum sein. Sie haben zwar die Macht, aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Bevölkerung die Unterdrücker abschüttelt.

Natürlich könnte ein Krieg die Entwicklung zurückwerfen, weil ein Krieg immer ein guter Vorwand ist, die Unterdrückung anzuziehen, aber auch so ein Krieg wäre nicht einfach nur ein Ölkrieg. Schauen wir uns die Nachbarn an: Afghanistan, Turkmenistan, Aserbaidschan, Armenien, Türkei, Irak, die Anrainerstaaten am Persischen Golf und Pakistan. Natürlich spielt es eine Rolle, dass der gesamte Persische Golf eine zentrale Transportroute für das Erdöl ist, ob nach Japan, China oder Europa, aber genau das ist es wieder: Es geht viel mehr um die geographische Lage an einer Schlüsselstelle als darum, ob der Iran selbst Erdöl besitzt. Die Tatsache, dass er im Persischen Golf einen Krieg auslösen kann, ist für die Weltwirtschaft genauso wichtig wie das persische Öl. Denn wir sehen ja: Trotz der derzeitigen Sanktionen gegen den Iran, die zu einem Rückgang der Erdölförderung um 50% geführt haben, hat sich die Bedrohungslage in der Region nicht geändert. Der Westen kann ohne das iranische Öl leben, aber nicht ohne das Öl überhaupt.

Natürlich ist der Sturz von Mossadegh ein finsteres Kapitel in der iranischen Geschichte und hing damals auch mit der Politik der Nationalisierung des Erdöls zusammen, aber das allein wäre kein Grund, warum der Iran heute so ruiniert ist. Für die heutige Lage ist an vorderster Stelle die iranische Geistlichkeit verantwortlich, deren Ideologie im Mittelalter verankert ist. Bauern auf religiösen Stiftungen, die ihren Zehnt an die Geistlichen entrichten ja, unabhängige Farmer – nein. Händler, die einen Teil ihrer Basareinnahmen an die Ajatollahs spenden – ja, Handelsketten, die dem Staat Steuern zahlen, nein. Importe von Konsumgütern – ja, eigene Produktion – nein. So haben die iranischen Machthaber in 34 Jahren einen Industriestaat zerstört, und nicht wegen des Erdöls, sondern wegen ihrer Engstirnigkeit und ihrer Phantasielosigkeit.