Iran: Die Kupfermine Süngün

Zweitausend Arbeiter im Sungun-Kupferkomplex streiken

Die Kupfermine Süngün liegt im Qare-Dagh-Gebirge etwa 30 km vom Kreiszentrum Varzaqân und 130 km von Tabris entfernt.

Diese Gebirgskette stellt eine Fortsetzung des Kleinen Kaukasus dar, der sich durch Aserbaidschan und Armenien zieht. Das Kupfervorkommen in Süngün ist schon seit der Qadscharen-Zeit bekannt, die Erkundung der Vorkommens mit modernen Methoden erfolgte jedoch erst im 20. Jahrhundert. Von 1368-1371 (1989-1992) führten die iranische Firma Olangco und eine nicht genannte britische Firma Probebohrungen durch, um das Kupfervorkommen zu vermessen. Das Vorkommmen liegt auf einer Höhe von durchschnittlich 2000 m über dem Meer und wird im Tagebau abgebaut.

Umwelt

Durch das Gebiet des Kupfer-Komplexes Süngün fließen zwei Flüsse, deren Wasser letztlich den iranisch-aserbaidschanischen Grenzfluss Aras erreicht, es gibt Klärbecken und einen großen Stausee. Die Auswirkungen des Kupferabbaus auf die Umwelt in der Region liegen weder im Blickfeld des persischen Wikipedia-Autors noch der iranischen Nachrichtenagenturen. Da aktive und fachkundige Umweltschützer im Iran eher im Gefängnis als in den Medien zu finden sind, ist auch von dieser Seite nicht so leicht etwas zu erfahren.

Soziales

Immerhin lässt eine Bemerkung der persischen Wikipedi aufhorchen:

„Die Kupfermine Süngün ist nach der Inbetriebnahme zu einem Fokus der Veränderung der Machtverhältnisse im Landkreis Varzaqân geworden. Der Grund liegt im Zustrom von Arbeitslosen in dieses ärmliche Gebiet. Jeder Verantwortliche, der erschien, versuchte, seine Anhänger in dieser Mine unterzubringen. Das führte zu einer heftigen Polarisierung und zu einem kulturellen Bruch in der Region. Süngün hätte eigentlich zu einem Wachstumsfaktor in der notleidenden Region Varzaqân werden können. Stattdessen dient es der Schaffung müheloser und schneller Einkommen und führt zu zahllosen Ungerechtigkeiten im ganzen Landkreis.“

Da nimmt es nicht Wunder, dass auf der Webseite des Kupferkomplexes (nicico) zwar das Register mas’uliyate ejtema’i – soziale Verantwortung vorkommt, aber wenn man es anklickt, stößt man auf die Bemerkung: Seite im Aufbau befindlich…

Der Konflikt

Am 22. November 2021 (1. Adhar 1400) berichtet die Webseite Akhbar-rooz (Nachrichten des Tages), dass am 6. Oktober 2021 (14. Mehr 1400), nach drei Streiktagen der Arbeiter des Kupfer-Komplexes von Süngün, der Exekutiv-Direktor des Nationalen Kupferunternehmens (Sherkate Melliye Mes) Sa°d-Mohammadi sich mit den Arbeitervertretern zu Besprechungen zusammengesetzt hat und versprochen hat, die Forderungen der Arbeiter umzusetzen. Er gab bekannt, dass jetzt einjährige Arbeitsverträge abgeschlossen werden. Die Arbeiter hatten u.a. gefordert, dass die Tätigkeiten korrekt in die verschiedenen Kategorien gruppiert werden und dass nicht zwischen den direkt angestellten Arbeitern des Kupferunternehmens und Mitarbeitern von „Satelliten“firmen diskriminiert werden soll.

Auf den ersten Blick ein Erfolg der streikenden Arbeiter.

Anlass des Artikels vom 22. November ist allerdings die Meldung, dass am Sonntag, den 21. November 2021 (30. Aban 1400) ab 22 Uhr die Arbeiter der Subunternehmen (de facto Leiharbeitsfirmen) Ahan-Ajin, Mobin, Nou-Awaran, Zahl u.a. in den Streik getreten sind und die Produktion gänzlich lahmgelegt haben, um gegen die Entlassung von 60 Arbeitern zu protestieren. Bei den 60 entlassenen Arbeitern handelt es sich um Aktivisten der Arbeiterbewegung und Arbeitervertreter.

Mit anderen Worten: Die Geschäftsführung signalisiert an die Medien Gesprächsbereitschaft, macht dann aber die „Rädelsführer“ ausfindig und entlässt sie sechs Wochen später in Bausch und Bogen. Wenn die Arbeiter jetzt klein beigeben, hat die Firmenleitung gewonnen. Deshalb der Streik.

Die nächste Runde: Revolutionswächter als Streikbrecher

Die nächsten Meldungen stammen vom 13. Adhar 1400 (4. Dezember 2021). Akhbar-rooz berichtet, dass über 2000 Leiharbeiter, die im Kupfer-Komplex von Süngün (Kreis Varzaqân) arbeiten, auf dem Gelände der Kupfermine einen 4-stündigen Protestmarsch über 10 Kilometer abgehalten haben. Es ist vom 5. Streiktag die Rede, das heißt, die Arbeiter streiken seit 30. November. Anlass für den Protestmarsch war die Information, dass die Leitung des Kupfer-Komplexes in Absprache mit dem Pasdaran-Stützpunkt Khatamu l-Anbiya vorhatten, abgebautes Gestein mit Lastwägen zu den Steinbrechern zu befördern, um so den Streik zu unterlaufen….

Belagerung der Arbeiter Sungun-Mine

Fast-Unfall oder Wink mit dem Eisenträger?

Gegen Ende des vierstündigen Fußmarsches bei Eiseskälte (wir befinden uns auf 2000 Meter Höhe!) rast auf einmal ein 10-rädriger Schwerlastkran, der Eisenträger transportiert, auf die Arbeiter zu. Kein Hupen, keine Lichtsignale, keinerlei Warnung. Er kommt die Straße runter und fährt mitten in die demonstrierende Menge von über 2000 Menschen. Die Leute reagieren schnell und es kommt zu keinem Unfall.

Ab jetzt habt ihr mit dem Staat zu tun

Am Vortag, das heißt am 3. Dezember (12. Adhar), hatte die Geschäftsleitung und der Sicherheitsdienst des Kupfer-Unternehmens zusammen mit Vertretern des Staates und der Sicherheitsorgane eine Sitzung mit Vertretern der Arbeiter abgehalten. Die Direktoren der Firma drohten den Arbeitern, wenn sie den Streik nicht abbrechen, würden sie von nun an mit dem Staat zu tun haben. Die Arbeiter bliesen den Streik aber nicht ab, solange ihre Forderungen nicht erfüllt würden.

Die Version der Firmenleitung – Staatsversion

Von dem Fast-Unfall mit dem Schwerlastkran kursierten im Internet bald Aufnahmen, die die Firmenleitung in Zugzwang brachten. Die staatliche Nachrichtenagentur veröffentlichte am 4. Dezember eine Stellungnahme der Firma (ohne dazu die Stellungnahme der Arbeiter wiederzugeben). Die Firma nimmt ausdrücklich auf die im Internet kursierenden Fotos Bezug. In der Stellungnahme ist vom Protestmarsch der Leiharbeiter die Rede, deren Forderungen nur durch einen nichtssagenden Begriff zusammengefasst werden, und dann heißt es: „Ein Schwerlastkran, der Lasten transportierte, ist aufgrund eines Bremsvorgangs und einer Kurve auf einer abschüssigen Straße außer Kontrolle geraten (…). Es kam zu keinen Verletzten.“ Es wird dann aus der Sicht des Kranfahrers geschrieben: „Wegen der fehlenden Sicht in der Kurve sieht er (plötzlich) eine Menschenmenge, die mitten auf der Straße demonstriert. Er zieht schnell die Bremse und legt einen niedrigeren Gang ein, aber wegen des abschüssigen Geländes und der schweren Last des Krans, behält er das Fahrzeug nur mit Mühe unter Kontrolle. Wie durch ein Wunder (…) fährt er mitten durch die Menschenmenge, ohne dass ein Toter zu beklagen wäre. Der unter Schock stehende Fahrer wird mit Hilfe des anwesenden Personals zu Fuß aus dem Kran geleitet und zur Gesundheitsstation des Kupfer-Komplexes gebracht.“ Die Perspektive der Arbeiter wird ausgeblendet. Dafür geht es weiter im Text: „Razavi, der Direktor des Komplexes, ist unermüdlich und Tag und Nacht bemüht, die Schwierigkeiten des ihm so lieben Personals zu beseitigen und auf seine Forderungen einzugehen.“

Es ist denkbar, dass der Fahrer des Krans von außen geholt wurde und vom ganzen Geschehen keine Ahnung hatte. Aber die Firmenleitung, die Geheimdienstorgane und die Pasdaran wussten definitiv, was los war.

Der Knüppel aus dem Sack

Am 5. Dezember wird dann deutlich, was die Firma wirklich plant. In den frühen Morgenstunden des 14. Adhar (5. Dezember) tauchen Polizeikräfte und eine Spezialgarde in größerer Zahl auf dem Gelände der Kupfermine auf und versperren den Arbeitern von außen den Zutritt aufs Gelände. Da etwa die Hälfte der streikenden Arbeiter zu Hause schläft, die andere Hälfte dagegen auf dem Gelände der Firma untergebracht ist, sind somit die Hälfte der Streikenden ausgeschlossen. Die Angehörigen der Arbeiter in Urumiye, Tabris, Ahar und Varzaqân haben angekündigt, dass sie sich auf den Weg zur Kupfermine machen werden, wenn den Streikenden etwas zustoßen sollte.

Wir könnten jetzt fragen, wohin das Kupfer aus Süngün exportiert wird. Wir könnten darauf hoffen, dass sich die Machtverhältnisse im Iran ändern und die jetzigen Machthaber entmachtet werden. Die Frage bleibt: Warum drehen wir uns im Kreis? Solche Ereignisse könnten sich auch unter dem Schah zugetragen haben, oder in Peru (Leseempfehlung: Redoble por Rancas / Trommelwirbel für Rancas, von Manuel Scorza) oder früher in der Volksrepublik Polen oder in einem kapitalistischen Staat. Was bewirken Revolutionen und neue Staatsformen, so lange die Menschen stehen bleiben?

https://fa.wikipedia.org/wiki/معدن_مس_سونگون

https://en.wikipedia.org/wiki/Sungun_copper_mine

https://az.wikipedia.org/wiki/Süngün_mis_mədəni

https://azarbaijan.nicico.com/

https://www.isna.ir/news/1400091310125/ماجرای-حرکت-جرثقیل-به-میان-کارگران-تجمع-کننده-در-مجتمع-مس-سونگون

vom 13. Adhar 1400 (4. Dezember 2021)

vom 1. Adhar 1400 (22. November 2021)

اعتصاب دو هزار کارگر مجتمع مس سونگون ورزقان؛ تجمع کارگران معدن طلای آق‌دره

vom 13. Adhar 1400 (4. Dezember 2021)

حمله با بولدیزر به راهپیمایی کارگران معدن سونگون در پنجمین روز اعتصاب

vom So, 14. Adhar 1400, (5. Dezember 2021)

محاصره کارگران معدن سونگون توسط گارد ویژه؛ در ششمین روز اعتصاب