Iran: und wieder geht es ums Wasser

Proteste in Schahrkurd

Proteste in Schahrkurd
In Schahrkurd gingen am Sonntag und Montag Demonstranten gegen die Politik der Wasserverknappung in der Region auf die Straße.
Schahrkurd ist die Hauptstadt der Provinz Chaharmahal wa Bakhtiyari. Die Protestierenden wehren sich dagegen, dass das Wasser aus Chaharmahal in andere Gegenden abgeleitet wird und riefen Parolen wie „marg bar ma:fiya:“ (Tod der Mafia) oder
„wây agar il-e mân berno be dast begirad“ (Wehe, wenn unser Volk zu den Gewehren greift).

berno be dast – das Gewehr zur Hand
Die letzte Parole hat es in sich. berno ist die persische Aussprache von Brno, einer tschechischen Industriestadt, deutsch Brünn genannt. Nach dem Zerfall von Österreich-Ungarn zum Ende des Ersten Weltkriegs entstand auf dem Areal der „K. u. k. Waffenhauptfabrik – Filiale in Brünn“ die Zbrojovka Brno (Waffenwerke Brno), die unter anderem für ihre Gewehre berühmt wurde. So berühmt, dass sie selbst heute noch im Iran bekannt ist, obwohl die Firma selbst 2006 in Konkurs ging. Ein Rüstungsexportschlager, würde man heute sagen.

il-e mân – (unser Volk) – die Bachtiaren
Das Wort il wird bei Bozorg/Alavi mit Volk, Nomadenstamm, Untertanen, Lehnsvolk übersetzt. Die, die damit gemeint sind, sind die Bachtiaren. Die deutsche Wikipedia verwendet für sie die Bezeichnung „Volk bzw. Stamm“ und schreibt weiter: „Sie sind in zwei Hauptgruppen, Haft Lang (55 Unterstämme) und Tschar Lang (24 Unterstämme), unterteilt.“ Da ist sie wieder, die Bezeichnung Stamm, Unterstamm, und unter der Überschrift Bekannte Bachtiaren auch der Begriff „Stammesführer“. Das hat so einen kolonialistischen Beigeschmack. Die Deutschen sind ein Volk („Wir sind das Volk“), sie haben einen Kaiser, einen Führer oder einen Kanzler, und die in den exotischen Ländern (nicht: Staaten) sind Stämme und haben einen Stammesführer oder einen Häuptling.

wây agar – wehe wenn!
Die Drohung, dass die Bachtiaren zu den Waffen greifen könnten, knüpft an die Anfänge des 20. Jahrhunderts an. Damals entschieden die Bachtiaren mit ihren Waffen den Sieg der konstitutionellen Revolution im Iran. Die Qajjaren-Dynastie musste abdanken. 1909 und zur Jahreswende 1912/13 wurde ein führender Bachtiare namens Najaf-Qoli Khan Bakhtiari (kh lies ch), auch Saad ad-Daula genannt, zweimal kurz zum Ministerpräsidenten gewählt. Resa Schah Pahlawi ließ nach seiner Machtübernahme (1925-1941) zahlreiche bekannte Bachtiaren hinrichten, darunter auch den Vater von Shapour Bakhtiar, wohl, weil er ihre organisierte Macht als Bedrohung für seine eigenen Ansprüche empfand. Shapour Bakhtiar wurde 1914 in Schahrkurd geboren. Er studierte an der Universität Beirut und später Politikwissenschaften an der Universität von Paris. Die englische Wiki behauptet, er habe 1934 in Paris studiert, als sein Vater vom Schah hingerichtet wurde, die französische Wiki schreibt, er sei 1936 nach Frankreich aufgebrochen, um dort zu studieren…
Die englische Version klingt hinstilisiert. Shapour Bakhtiar war als Freiwilliger bei den internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg auf der Seite gegen Franco, dann meldete er sich bei der französischen Armee und kämpfte in Orléans gegen die Nazis. Nach der französischen Niederlage 1940 kämpfte Shapour Bakhtiar bei der französischen Résistance gegen die Nazis weiter. Nach dem Krieg, als er in den Iran zurückkehrte, wurde er vom Schah mehrfach inhaftiert und auch gefoltert, insgesamt für sechs Jahre. Als überzeugter Demokrat versuchte er aber zum Ende der Schahzeit als dessen letzter Premierminister noch, die Revolution durch Reformen zu verhindern. Es glückte ihm nicht. Er ging ins Exil nach Frankreich, wo das iranische Regime 1980 und 1991 ein Mordanschlag auf ihn verübte. 1980 wurde ein Polizist und eine Nachbarin ermordet, 1991 wurde er selbst und sein Sekretär ermordet.

Zurück zum Wasser
Die Protestierenden versammelten sich am Sonntag und Montag vor der Provinzverwaltung. Ihr Protest gilt namentlich dem Projekt „Behesht-Abad“. In diesem Projekt soll Wasser aus Chaharmahal in die Provinzen Isfahan, Yazd und Kerman abgeleitet werden. Antreiber dieses Projekts stammen vornehmlich aus der Provinz Isfahan, wo große Fabriken einen hohen Wasserverbrauch haben, der schon in der Region Isfahan zu Protesten geführt hat. Die Fabriken wie die Bauunternehmer solcher Projekte gehören in der Regel in den Dunstkreis der religiösen Stiftungen, die zum Teil direkt dem Religiösen Führer Ajatollah Chamene’i unterstehen. Das ist damit gemeint, wenn von Mafia die Rede ist. Wir hatten am 2.8.2021 ausführlich über diesen staatlich organsierten Wassermangel und die Nutznießer desselben geschrieben (Iran: Wie im Himmel, so auf Erden). Laut den Plänen dieses Projekts sollen jährlich 1,1 Milliarden Kubikmeter Wasser aus der Region Chaharmahal abgezogen und in die genannten Provinzen gepumpt werden. Zum Vergleich: Der Bodensee umfasst 48 Milliarden Kubikmeter Wasser, über den Alpenrhein fließen jährlich 7,8 Milliarden Kubikmeter Wasser in den See. Die Menge Wasser, die mit dem Projekt Behesht-Abad abgeführt werden soll, wäre gleichbedeutend, dass der Alpenrhein an 51 von 365 Tagen im Jahr furztrocken wäre, weil das Wasser woanders hin kommt. Hinzu kommt, dass die Provinz Chaharmahal wa Bakhtiari, die früher 11% der Wasserreserven des Irans auf sich vereinigte, inzwischen ebenfalls unter der Trockenheit leidet, so dass derzeit über 200 Ortschaften durch Zisternenwägen mit Wasser versorgt werden.

Das Paradies kultivieren
Was die Namensgebung angeht, stehen die iranischen Geistlichen/Politiker hiesigen Politikern in Sachen Kreativität um nichts nach. Erinnert sich noch jemand, dass die Degradierung des Hauptbahnhofs Stuttgart zur unterirdischen Schieframpe gar als Verbindungsglied zwischen Paris und Bratislava bezeichnet wurde? Das Hauptstädtle steigt geradezu in die Liga der Städte von Welt auf…
Nun, mit Behesht-Abad ist es nicht anders: Es heißt schlicht: Kultivierung des Paradieses. So kann man Wasserraub auch nennen.

Gründe für den Wassermangel
Qodratollah Hamze, der Vertreter der vier Landkreise Ardal, Kuhrang, Farsan und Kiyar (alles Provinz Chaharmahal wa Bakhtiari) im iranischen Parlament, hütete sich zwar, die Urheber für die Wassermisere im Iran beim Namen zu nennen, wies aber auf den Mangel an Trinkwasser in der Region Chaharmahal wa Bakhtiari hin und erklärte, die Bevölkerung werde nicht tatenlos zuschauen, wenn auch nur der erste Meter Tunnel für die Fernwasserleitung gebaut werde.

Die staatlichen Vertreter machen stets den Mangel an Niederschlägen für die Wasserprobleme verantwortlich. Gleichzeitig haben sie aber schon Dutzende von Spezialisten aus dem Umweltbereich bedroht oder inhaftiert, die darauf hinweisen, dass es widersinnig ist, in Wüstengebieten Reis anzubauen, der besonders viel Wasser benötigt, dass das Bohren von illegalen Grundwasserbrunnen gestoppt werden muss und dass die maroden Wasserleitungen des Landes renoviert werden müssen. Aber das wäre ja Arbeit…

So wechseln die Orte des Protests über die Wasserknappheit, mal Isfahan, mal Chusistan, jetzt Chaharmahal wa Bakhtiari. Was bleibt, ist der Wille zur Macht derjenigen, die im Iran das Sagen haben.

https://alischirasi.wordpress.com/2021/08/02/iran-wie-im-himmel-so-auf-erden/
https://de.wikipedia.org/wiki/Zbrojovka_Brno
(die tschechische Seite hierzu ist weniger informativ als die deutsche)
https://en.wikipedia.org/wiki/Bakhtiari_people
https://en.wikipedia.org/wiki/Najaf-Qoli_Khan_Bakhtiari
https://en.wikipedia.org/wiki/Shapour_Bakhtiar
https://fr.wikipedia.org/wiki/Chapour_Bakhtiar
https://de.wikipedia.org/wiki/Bachtiaren
https://www.statistik-bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/PDF/Beitrag08_08_11.pdf
https://www.radiofarda.com/a/bakhtiyari-protests-water-shortage/31573555.html
vom 1. Adhar 1400 (22.11.2021)
اعتراضات مردم چهارمحال و بختیاری به «بی‌آبی» وارد دومین روز خود شد