Iran: Ein Land wird verwüstet

Mariam Lotfi berichtet in der Tageszeitung Hamschahri, die vom Amt des Oberbürgermeisters von Teheran herausgegeben wird, über die Folgen der Dürre in der iranischen Provinz Sistan und Balutschistan. Sie berichtet über den Hamun-See im Osten des Irans. Eigentlich ist es eine Seenlandschaft mit Sümpfen, die nur bei hohem Wasserstand zu einem Gesamtsee zusammenwächst, der weit nach Afghanistan hineinreicht. Dieser Gesamtsee bedeckte noch vor 50 Jahren Flächen in der Größenordnung von 4000 Quadratkilometern, die persische Wikipedia spricht sogar von 5000 Quadratkilometern. Zum Vergleich, der Bodensee bedeckt 530 Quadratkilometer, der Genfersee 580. Die russische Wikipedia berichtet , dass 1903 bei einem sehr hohen Wasserstand sogar auch mal 50.000 Quadratkilometer von Wasser bedeckt waren. Sie schreibt aber auch, dass die Wasserhöhe des Sees im Schnitt einen bis anderthalb Meter beträgt. Diese Seen- und Sumpflandschaft wurde von der UNESCO auch als Biosphärenreservat ausgewiesen, aber das nützt wenig. Denn die Satellitenfotos wie auch die Einwohner vor Ort bezeugen das Austrocknen dieser Landschaft.

Landflucht

Für die Einheimischen kommt das wie eine Vertreibung. Seit nachweislich über 4000 Jahren wird in der Region Fischerei, Landwirtschaft und Viehzucht betrieben. Ohne Wasser ist alles vorbei. Fische gab es in einem Jahr als Trockenfisch, als der See zum ersten Mal völlig trocken fiel. Da haben die Einheimischen ihn in Säcken gesammelt und verkauft. Aber ohne Wasser ist Schluss mit der Fischerei. Felder ohne Wasser bei den Temperaturen sind unfruchtbar, der Wind trägt zudem Salz ein. Und das Vieh braucht Futter. Bei Trockenheit wächst kein Gras, und die Intensivwirtschaft wie hier in Deutschland oder der Schweiz liegt jenseits der Kaufkraft der Bauern. Womit sollten sie das Viehfutter bezahlen? Und schon diese Sicht greift zu kurz. Denn wenn die Wüste voranschreitet, woher soll das Futter denn kommen? Die älteren Einwohner bleiben noch in den Dörfern, die jüngeren ziehen in die Städte, nach Tschabahar, nach Zahedan, nach Teheran. In diesen Städten bilden sie dann die Slums am Rande der Stadt. Als Fischer, Bauern oder Viehzüchter haben sie dort höchstens Aussichten auf Gelegenheitsarbeiten.

Der Ursprung der Misere

An der Trockenheit schuld sind drei Dürrejahre. Heißt es. Ja, auch auf Satellitenfotos soll zu sehen sein, dass die Niederschläge im Hindukusch, von wo der Hilmand-Fluss sein Wasser bezieht, viel dürftiger waren als in früheren Jahren. Und der Hilmand-Fluss ist der Hauptzubringer von Wasser in diese Seenlandschaft. Aber das ist nicht alles. Auf afghanischer Seite wurden Staudämme gebaut, wird das Wasser für die Bewässerung von Feldern genutzt, und die Bauern, die es sich leisten können, ziehen mit Pumpen Wasser aus dem Fluss.

Was dann weiter westwärts im Iran ankommt, wird hier z.T. ebenfalls abgezogen. Für große staatliche Wasserreservoire, die die Dörfer eigentlich mit Trinkwasser versorgen sollten. Und seit den 1970-er Jahren hat auch hier eine intensivere Landwirtschaft Einzug gehalten, mit intensiver Bewässerung und Pumpen. Die ehemaligen Sumpf-Flächen, die damals für die Landwirtschaft in Beschlag genommen wurden, sind heute vertrocknet und verwüstet. Die englische Wikipedia berichtet, dass in der Zeit der landwirtschaftlichen „Entwicklung“ die Bevölkerungszahl in der Region stark gestiegen ist.

Es wird deutlich, dass hier ein Ökosystem, das wohl schon einige Jahrtausende existiert, zum Einbruch gebracht wurde, weil es übernutzt wurde. Und es verwundert nicht, dass der Abgeordnete der Region im Parlament im Teheran mehr Arbeitsplätze und bessere Trinkwasserversorgung fordert, aber zugleich auch darauf hinweist, dass ein anderer Fluss der Region, der im Golf von Oman mündet, noch so und so viel Kubikmeter Wasser pro Jahr ins Meer befördert. Das könne man ja stauen und mit Leitungen herpumpen. Nach dem Motto: Wir haben ein System zerstört, zerstören wir das nächste.

Wir sind mit vom Spiel

Und wir sollten nicht mit dem Finger auf „die Iraner“ zeigen. Hier handhaben wir es nicht anders. Sei es Müll, sei es Energieverbrauch, seien es Abgase. Wir „lösen“ ein Problem, indem wir ein paar weitere erzeugen. Verderbliche Lebensmittel zu jedem Zeitpunkt wie Milch, Fleisch, Joghurt oder Kopfsalat? Ein Kühlschrank muss her! Gifte Kühlflüssigkeit (Ammoniak)? Wir finden Abhilfe – Fluorkohlenwasserstoffe. Dann auf einmal: Die Ozonschicht wird zerstört. Das UV-Licht zerstört uns. Also weg mit den Fluorkohlenwasserstoffen, aber nicht weg mit dem Kühlschrank. Oder der Energieverbrauch. Nachhaltigkeit. Windenergie. Nach 20 Jahren wird die erste Generation der Generatoren verschrottet. Riesige Propeller mit Glasfasern. Keiner will sie. Zum Glück gibt es Abnehmer in Polen. Da laufen die Windflügel noch und das Problem mit dem Abfall haben dann „die Polen“. Und so weiter.

Quellen:

https://www.peykeiran.com/Content.aspx?ID=229031
vom 9. Chordad 1400 (30. Mai 2021)

مهاجرت اجباری روستانشینان سیستان و بلوچستان/«تا شکم بچه‌هامان خالی نماند»

https://fa.wikipedia.org/wiki/دریاچه_هامون

https://en.wikipedia.org/wiki/Hamun_Lake

https://de.wikipedia.org/wiki/Hamun-See

https://ru.wikipedia.org/wiki/Хамун

همشهری در گزارش میدانی و تحلیلی به تاثیر خشکسالی و بی‌آبی در روستاهای سیستان و بلوچستان پرداخت که به مهاجرت بخش جالب توجهی از جمعیت این مناطق به شهرهایی چون تهران، زاهدان و چابهار منجر شده است.