Iran: Im Paradies der Verräter


Der arme Bruder Laridschani, Ahmadineschad hat ihm ja so bös zugesetzt

Am Sonntag, den 3. Februar 2013, fand im iranischen Parlament (Madschles) eine Vertrauensabstimmung über den iranischen Minister für Arbeit und Soziales statt. Mit 192 Stimmen (von 290 Abgeordneten) wurde der Minister aus seinem Amt entlassen. Das wäre eine kurze Nachricht, aber wie es dazu kam, ist die eigentliche Sensation.

Der Fall Sa’id Mortasawi
Eigentlich ging es bei der Abstimmung gar nicht um den Minister für Arbeit und Soziales, sondern um Sa’id Mortasawi, der ihm formal unterstellt war. Sa’id Mortasawi ist kein Unbekannter im iranischen Machtapparat. Unter Präsident Chatami war er als Richter zuständig für die Verfolgung von Journalisten und die Schließung kritischer Zeitungen im Inland. Sa’id Mortasawi war auch am Verhör der iranisch-kanadischen Journalistin Sahra Kasemi beteiligt und soll sie persönlich gefoltert haben. Sahra Kasemi wurde damals – im Jahr 2003 – zu Tode gefoltert. Sa’id Mortasawi war Generalstaatsanwalt von Teheran, als sich die berüchtigten Folterungen im Kahrisak-Gefängnis unter seiner Aufsicht und Leitung abspielten. Das war nach den Protesten gegen die Fälschung der Präsidentschaftswahl von 2009. Weil in Kahrisak auch der Sohn eines engen Mitarbeiters von Ajatollah Chamene’i zu Tode gefoltert wurde, wurde Sa’id Mortasawi auf einen anderen Posten versetzt, wo sein Treiben nicht so im Rampenlicht stand, das dafür aber umso einträglicher gewesen sein dürfte. Er wurde zum Direktor zur Bekämpfung des Schmuggels von Waren und Devisen. Er genoß die Unterstützung von Ajatollah Chamene’i und von Präsident Ahmadineschad, so dass er auch für seine Verbrechen in Kahrisak nie zur Verantwortung gezogen wurde. Nach Protesten wurde er zum Direktor der iranischen Sozialversicherung ernannt, als er aufgrund eines Urteils des Verwaltungsgerichts als ungeeignet für dieses Amt eingestuft wurde, setzte ihn Ahmadineschad als stellvertretenden Direktor ein. Dies nahm das iranische Parlament zum Anlass für einen Misstrauensantrag gegen den iranischen Minister für Arbeit und Soziales, dem Sa’id Mortasawi unterstand, weil der Minister sich weigerte, Mortasawi zu entlassen.


Auszug aus dem Parlament – Präsident Ahmadineschad droht mit dem Zeigefinger

Drohungen vor der Abstimmung
Wie üblich, ließ Präsident Ahmadineschad dem iranischen Parlamentspräsidenten Ali Laridschani ausrichten, er werde auspacken, wenn der Misstrauensantrag nicht von der Tagesordnung genommen werde. Am letzten Sonntag ließ es Laridschani darauf ankommen. Und Ahmadineschad ließ die Bombe platzen. Er spielte auf der Parlamentssitzung eine Tonbandaufzeichnung vor, aus der hervorging, dass Fasel Laridschani, ein Bruder von Ali Laridschani, sich gegen Bestechung dafür einsetzen wollte, dass Firmen, die Bankkredite aufnehmen und staatliche Aufträge erhalten wollten, entsprechend wohlwollende Bescheinigungen aus dem Justizapparat bekamen, der von Ajatollah Sadeq Laridschani geleitet wird. Die geheime Aufzeichnung machte übrigens besagter Sa’id Mortasawi, und es war auch eben dieser Sa’id Mortasawi, der Fasel Laridschani versprach, er brauche sich um seine finanziellen Probleme keine Sorgen zu machen. Auf dem Tonband war nämlich zu hören, dass dieser Fasel davon jammerte, er habe jetzt ein Enkelkind und verdiene nur 2 Millionen Tuman im Monat (ein iranischer Lehrer muss mit 700.000 Tuman auskommen, ein Arbeiter mit 390.000 Tuman). Auch wolle sich Fasel selbständig machen, und dafür benötige er Kapital.

Die Katze aus dem Sack
Ali Laridschani, der Parlamentspräsident, wusste sich zu revanchieren. Er meinte, ob Ahmadineschad es wohl gefallen würde, wenn er die vertraulichen Gespräche mit seinem Bruder Dawud Ahmadineschad veröffentliche, aus denen die Beziehungen von Ahmadineschad zu den Volksmudschahedin (Monafeqin genannt) hervorgingen und auch deutlich werde, was für korrupte Leute Ahmadineschad um sich gesammelt habe. Er meinte, es sei gut, dass Ahmadineschad endlich die Katze aus dem Sack gelassen habe, er habe schon oft genug damit gedroht auszupacken, jetzt habe er dem Volk endlich seinen wahren Charakter offenbart. Schließlich stellte Ali Laridschani den Misstrauensantrag gegen den Minister für Arbeit und Soziales zur Abstimmung. Ahmadineschad, der protestierte und noch einmal zu Wort kommen wollte, kanzelte Laridschani mit den Worten ab, er habe seine Redezeit gehabt, er habe seine Antwort erhalten, und außer Anträgen zur Geschäftsordnung könne er jetzt nichts mehr sagen. Darauf zog Präsident Ahmadineschad wütend mit seinem Gefolge aus dem Parlament aus. Interessanterweise ging Laridschani nicht darauf ein, dass Sa’id Mortasawi ja selbst in die korrupten Geschäfte verwickelt ist, die er Fasel Laridschani zur Last legt. Aber dahinter stehen andere Überlegungen.

Das letzte Stündlein des Führers
Bekanntlich hat der Religiöse Führer, Ajatollah Chamene’i, die verstrittenen Parteien um Ahmadineschad und um den Parlamentspräsidenten in den letzen Monaten wiederholt dazu aufgefordert, im Interesse des Systems den Mund zu halten und ihre Streitigkeiten nicht an die Öffentlichkeit zu tragen. Noch vor einer Woche erklärte Chamene’i, wer bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr noch an die Öffentlichkeit gehe, begehe Verrat. Wie man sieht, haben die Herren an der Spitze keine Angst mehr, sich als Verräter bezeichnen zu lassen. Ajatollah Chamene’i ist wie ein Papst, auf dessen Bann niemand mehr etwas gibt.

Die Folgen
Der Streit an der Spitze kann auf der formalen Ebene der Islamischen Republik mehrere Folgen haben. Mit der Absetzung des Arbeitsministers hat Ahmadineschad inzwischen soviele Minister verloren, dass er für die Fortführung seines Amts als Präsident und für die Fortsetzung der Arbeit seines Kabinetts Ersatz für die fehlenden Minister vorschlagen und sich selbst einem Misstrauensvotum unterziehen müsste. Wenn er sich denn an die iranischen Gesetze halten würde. Mit anderen Worten – er könnte noch kurz vor den Wahlen gestürzt werden. Er kann das Parlament natürlich auch weiter ignorieren und sich keinem Votum unterziehen. Das Parlament allein wird ihn nicht entmachten können, die Justiz auch nicht, und der Religiöse Führer Ajatollah Chamene’i wird sich hüten, Ahmadineschad zu entlassen.

Patt, Putsch oder Bürgerkrieg?
Es kann demnach so ausgehen, dass bis zu den Wahlen nichts weiter passiert, weil weder Ahmadineschad noch Laridschani stark genug sind, den Gegner ohne Chamene’is Rückendeckung zu entmachten.
Genauso gut denkbar ist aber auch, dass die Pasdaran (Organisation der Revolutionswächter) nicht abwarten wollen, wie sich der Konflikt entwickelt, und lieber auf Nummer sicher gehen. Ein Putsch wäre aus ihrer Sicht die beste Lösung, um ihre Wirtschaftsmacht und ihre Rolle im Staat zu erhalten.
Und schließlich ist auch denkbar, dass die Anhänger von Ahmadineschad, die im ganzen Land Posten innehaben und auch über Waffen verfügen, sich gegen die drohende Entfernung aus der Macht mit Waffen wehren. Das wäre der Weg zu einem Bürgerkrieg, allerdings eines Bürgerkriegs ohne die Bürger. Denn für die absolute Mehrheit der Iraner sind weder die Leute um Laridschani noch die um Ahmadineschad es wert, dafür sein Leben zu riskieren. Das werden nur die tun, die etwas zu verlieren haben oder die Macht gewinnen wollen. Statt Wahlen.
Nicht auszuschließen ist, dass Ajatollah Rafsandschani gemeinsam mit den „Reformisten“ vor die Bevölkerung tritt und sie auf seine Seite zieht, um sich oder eine von ihm auserwählte Person auf den Posten des Staatspräsidenten zu bringen, als Alternative zu den sogenannten Prinizipialisten.