Iran: Der Mensch lebt nicht vom Öl allein

Im Iran streiken die Rentner. Nein, nicht alle, aber in verschiedenen Städten, in Teheran, sowie in den Provinzhauptstädten von Ilam, Isfahan, Gilan, Chusestan, Ost-Aserbaidschan, Lorestan und evtl. noch in ein paar anderen Provinzen haben sich Rentner vor dem Parlament bzw. vor dem Gebäude der Sozialversicherung oder des Provinzgouverneurs versammelt, um gegen die staatliche Rentenpolitik zu protestieren. Sie fordern, dass der Staat seine Schulden gegenüber der Sozialversicherung bezahlen soll, dass die Renten nicht unter der Armutsgrenze liegen sollten, dass Medikamente kostenlos sein sollten. Sie kritisieren, dass ihre Renten in Riyal sind (iran. Währung), während die Preise für vieles (zum Beispiel für Medikamente) in Dollar sind. Auch das Recht auf Versammlungsfreiheit, auf das Recht, sich zu organisieren, wird eingefordert.

Wir streiken, was nun?

Nun sind Streiks zwar ein Mittel, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und die Rentner im Iran haben dieses Jahr (im Iran endet das Jahr erst zum Frühlingsbeginn) schon mehrfach dazu gegriffen, aber was sind die Folgen? Wenn die Versorgung mit Benzin, mit Strom oder mit Wasser lahmgelegt wird, dann hat ein Streik direkte Folgen für alle. Aber wenn die Rentner streiken? Wenn es im Iran freie Wahlen gäbe, dann würde eine Regierung um ihre Stimmen fürchten und vielleicht handeln. Aber im Iran beschränkt sich Wahlfälschung nicht auf windige Vorwürfe Trumpscher Machart, nein, hier ist sie ganz reell. Der wahre Sieger von 2009 lebt samt seiner Frau noch immer im Hausarrest, während der Wahlfälscher – Ajatollah Chamene‘i noch immer an der Macht ist und sein Schützling, Ex-Präsident Ahmadineschad, inzwischen friedlich sein Altenteil genießt. Insofern sind solche Streiks zwar Ausdruck von Zivilcourage, aber mehr auch nicht.

Landesweit, aber nicht in Massen

Auch wenn es im ganzen Iran solche Proteste gab und gibt, es ist keine Massenbewegung. Und das ist verständlich. Denn selbst wenn es Korruption und Unterschlagung staatlicher Gelder nicht gäbe, ist im Iran weniger zu verteilen als in früheren Jahren. Da ist zum einen das Embargo wegen der anhaltenden Politik der atomaren Aufrüstung, zum andern die sinkende Produktivität der veralteten iranischen Erdölindustrie und nicht zu letzt auch der nach wie vor recht niedrige Erdölpreis, der im Moment bei 55 Dollar pro Fass liegt. Zum Vergleich: 2019 schwankte er zwischen 60 und 75 Dollar pro Fass. Bis er dann im Frühjahr 2020 – Corona lässt grüßen, auf 20 Dollar absackte und erst im Dezember 2020 wieder über 50 Dollar kam. In einem Staat, in dem der Hauptteil des Budgets und über das Budget die Mehrzahl der Wirtschaftsunternehmen von den Erdöleinnahmen abhängt, haben solche Preiseinbrüche verheerende Folgen. Eine Privatwirtschaft, die das abfedern kann, gibt es im Iran nicht. Denn der Staat greift überall in die Preissetzung ein und benutzt Unternehmen als Pfründe, mit denen verdiente Generäle abgespeist werden. Unternehmen werden geplündert, nicht geführt, und so werden die Firmen der Reihe nach in den Ruin getrieben. Das bekommen die Arbeiter zu spüren, ihre Familien, und erst recht die Rentner.

Jammern hilft nicht – aber was tun wir hier eigentlich? Wir, die Schreiberlinge, die Verfasser dieses Artikels? Auch nichts anderes.

Quellen

https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/

https://www.finanzen.net/rohstoffe/oelpreis

تجمع‌ اعتراضی بازنشستگان در تهران و سراسر کشور
vom 21. Dey 1399 (11. Januar 2021)