Iran: Ein Twitter-Hashtag bringt die Machthaber ins Schwitzen

Zum Tode verurteilt: Amir Hossein Moradi, Sa’id Tamjidi und Mohammad Rajabi

Im November 2019 (Aban 1398) kam es in zahlreichen Städten im Iran zu Protesten in der Bevölkerung, die durch eine angekündigte Benzinpreiserhöhung ausgelöst wurden. Auf Befehl des Religiösen Führers Ajatollah Chamene‘i wurde damals mit militärischen und polizeistaatlichen Mitteln eingegriffen, rund 1500 Protestteilnehmer sollen dadurch ums Leben gekommen und mehrere Tausend verhaftet worden sein. Von den Verhafteten wurden einige zur Hinrichtung verurteilt, darunter Amir Hossein Moradi, Sa‘id Tamjidi und Mohammad Rajabi.

Ihr Todesurteil hat zu einer Twitter-Kampagne unter dem Hashtag #اعدام_نکنید (#e°dam nakonid = richtet nicht hin!) geführt, die am Abend des 14. Juli von IranerInnen gestartet wurde. Innerhalb von Stunden übernahmen über 5 Millionen Menschen im Iran wie im Ausland in ihren Tweets dieses Hashtag, um so gegen die Bestätigung des Todesurteils gegen die drei zu protestieren. Auch die schwedische Außenministerin Ann Linde und der dänische Außenminister Jeppe Kofod haben sich den Protesten gegen die Todesurteile angeschlossen.

Das traf die iranischen Machthaber an einem empfindlichen Punkt. Schon einen Tag später, am 15. Juli, begannen iranische Nachrichtenagenturen widersprüchliche Gerüchte über einen angeblichen Stopp des Vollzugs der Hinrichtungen zu verbreiten. So berichtete am Nachmittag des 15. Juli zuerst die Nachrichtenagentur FARS unter Berufung auf eine Anordnung des Oberhaupts der Justiz, dass der Vollzug der Todesurteile gestoppt wurde. Wenig später dementierte MIZAN, die Nachrichtenagentur der Justiz, diese Meldung. Wohl um die Empörung zu mildern, erklärte der Sprecher der Justiz, dass es gemäß Artikel 477 des Gesetzes über die Statuten der Justiz (Qanune Ayine Dadresi) auf Antrag des Rechtsanwalts möglich sei, den Ausgang eines Justizverfahrens abzuändern. Wenn das Oberhaupt der Justiz zum Ergebnis gelange, dass das Urteil jeder der Instanzen gegen die Scharia verstoße, könne es den Fall zur erneuten Verhandlung an eine von ihm ausgewählte Kammer des Obersten Gerichtshof des Landes überweisen. Die Anwälte haben schnell reagiert, um diese formellen Voraussetzung für eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erfüllen.

Wie mehrere Anwälte, die bisher mit diesem Verfahren vertraut waren, der Öffentlichkeit mitteilten, wurden im Verfahren mehrere Grundsätze der iranischen Gesetzgebung nicht eingehalten. So müssen Anwälte in Verfahren, die mit Todesstrafen enden können, bei den Ermittlungen anwesend sein. Nur einer der Angeklagten hatte überhaupt einen Anwalt. Und selbst dieser Anwalt erhielt keinen Zugang zu den Ermittlungsakten und wurde nicht einmal zur Gerichtsverhandlung geladen!

Die Nachrichtenagentur TASNIM, die den Revolutionswächtern nahe steht, schrieb über den Twitter-Protest: „Vergangene Nacht war Zeuge der Entstehung einer Kampagne unter dem Hashtag #e°dam nakonid (richtet nicht hin) im virtuellen Raum. Die Kampagne, der sich viele anschlossen, ohne über die Details des Vorgangs informiert zu sein, zeigte erneut, wie die Krise der Vermittlung exakter Informationen und die entsprechende Lenkung der öffentlichen Meinung Einfluss auf die Entstehung eines voreiligen Urteils und einer Bewegung hat, die über einige Themen nicht informiert ist. Es ist klar, dass eine beträchtliche Zahl der Teilnehmenden an dieser Kampagne tatsächliche normale Bürger sind (die aufgrund des Fehlens der Vermittlung richtiger Informationen seitens der Justiz generell nicht informiert sind), und dass auch eine Reihe von Celebrities im Iran sich diesem Hashtag angeschlossen und darüber gesprochen haben.“

Dies zeigt deutlich, dass sich die Machthaber bewusst sind, dass die Kampagne die „normale Bevölkerung“ erreicht hat, die zwar als unwissend dargestellt wird, aber die Verantwortung dafür wird der Justiz zugeschrieben, nicht der Bevölkerung. Offensichtlich hat die Kampagne erstmals die eigene Bevölkerung erreicht, und das ist für jede Regierung wesentlich kritischer als das Image im Ausland.

vom 26. Tir 1399 (Do, 16. Juli 2020)

اتحاد عمل کم سابقه در دفاع از لغو حکم اعدام سه تن ازمعترضان آبان ۹۸